Vorreiter & Vorbild

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Wo eine Vision zum Leben erweckt wird

Publiziert: 08. Mai 2023

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Die Geschichte des Areals im Herzen Biberists begann 1862. Die Papierfabrik Biberist nahm ihre Produktion auf und prägte die Gemeinde während der darauffolgenden 150 Jahre. 2011 musste der Betrieb jedoch eingestellt werden. HIAG erwarb das Fabrikgelände im Sommer 2012 und schlug so ein neues Kapitel in der Entwicklung des Areals auf. Standortleiter Markus Künzle gibt einen Einblick in seine Wirkungsstätte.

Als HIAG 2012 das rund 280’000 Quadratmeter grosse Papieri-Areal in Biberist übernahm, gingen nicht nur die alten Gebäude der stillgelegten Papierfabrik in ihren Besitz über. Sagenhafte 2 Millionen Kubikmeter umbauter Raum, diverse Maschinen zur Herstellung von Papier und ein Wasserkraftwerk gehörten ebenfalls zum Neuzugang im Portfolio der Arealentwicklerin. HIAG stand damit vor einer Herausforderung besonderer Art. Sich in die Gegebenheiten eines solch grossen Areals einzuarbeiten, ist eine Mammutaufgabe, wenn man niemanden hat, der das Areal bereits kennt. Doch zum Glück gab es Markus Künzle.

Der studierte Maschinenbauingenieur war seit 2005 der Instandhaltungsleiter der Papierfabrik Biberist. Seine Aufgabe war es, die maximale Anlagenverfügbarkeit sicherzustellen. Er zeichnete damals für 65 Mitarbeitende und ein Budget von rund 21 Millionen Franken verantwortlich. 2009 wurde das Unternehmen, das bereits 1995 wegen unzureichender Erträge mit der Papierfabrik Utzenstorf fusioniert hatte, vom südafrikanischen Papierkonzern Sappi übernommen. Doch auch das brachte nicht die ersehnte Wende zum Besseren. 2011 musste der Betrieb endgültig eingestellt werden, 550 Mitarbeitende verloren ihren Job – darunter auch Markus Künzle. Nur ein Mitglied der ehemaligen Geschäftsleitung und zwei technische Mitarbeiter waren noch vor Ort. Künzle machte das Beste aus seiner Situation: «Ich hatte nach meinem Abgang von Sappi eine schöne Abfindung bekommen und während einer Auszeit mit meiner Frau erst einmal lange Ferien ge- macht.» Doch die Pause währte nicht lang: «Nach einem halben Jahr Abwesenheit wurde ich von der neuen Besitzerin HIAG zu einem Gespräch eingeladen. Man sagte mir, dass noch an vielen Stellen technisches Know-how gebraucht würde, was die Gegebenheiten des Areals angehe.» Markus Künzle war der Schlüssel zur Lösung dieser Herausforderung, denn nur er kannte das gesamte Areal wie seine Westentasche. Am 1. Oktober 2012 kehrte er zu seiner alten Wirkungsstätte zurück und ist seither Standortleiter in der Papieri Biberist.

Vom Industrieareal zum Quartier für alle
Während 150 Jahren war das Papieri-Areal eine reine Industriefläche. HIAG möchte daraus in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein Quartier entwickeln, das neben einer gewerblich-industriellen Nutzung auch Raum für Arbeit, Kunst, Kultur, Wohnen und Freizeit bietet. Seit dem Erwerb des Geländes durch die HIAG ist bereits viel passiert. Die erfahrene Arealentwicklerin hat hier in gewisser Weise Neuland betreten, erzählt Markus Künzle. «HIAG hatte zuvor immer besenreine Fabriken übernommen. Beim Papieri-Areal war das anders, denn das Grundstück wurde mitsamt allen Gebäuden und aller darin befindlichen Maschinen und Einrichtungen übernommen. Während dreier Jahre wurde geprüft, ob die Papierproduktion zumindest in Teilen wieder anlaufen könnte.» Nach intensiven Verhandlungen mit potenziellen Produzenten kam man jedoch zum Schluss, dass eine weitere Nutzung in der alten Form nicht infrage kommt.

«HIAG hatte zuvor immer besenreine Fabriken übernommen. Beim Papieri-Areal war das anders, denn das Grundstück wurde mitsamt allen Gebäuden und aller darin befindlichen Maschinen und Einrichtungen übernommen.» Markus Künzle, Standortleiter Papieri-Areal

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Der Startschuss in eine neue Zukunft
Für den Standortleiter begann eine sehr intensive Phase. «Wir mussten Käufer für die Maschinen suchen, denn diese waren ja alle noch funktionsfähig.» Dabei stand aber nicht nur ein möglichst hoher Erlös im Vordergrund, weiss Markus Künzle. «Essenziell war auch, dass die Maschinen von den Käufern professionell und zügig demontiert werden mussten.» Mittlerweile sind die drei bis zu 300 Meter langen Papiermaschinen verkauft und demontiert. Eine letzte Anlage steht noch in der Halle. Die Käufer sind aus Bangladesch und organisieren erst noch den Rückbau und Transport an den Bestimmungsort. «Das ist ein Superkalander, eine Maschine, die Papier glättet», erklärt Künzle. Und wird dabei fast ein wenig nostalgisch. «420’000 Tonnen Produktionskapazität für grafische Papiere hatte die Fabrik früher.» Sein Blick schweift durch die riesige Halle, in der die meterhohe Maschine fast verschwindet. Was geschieht nun mit diesen Hallen? «Sie werden rückgebaut, denn sie wurden speziell für die Papiermaschinen gebaut und können nicht umgenutzt werden. Eine dieser Hallen ist 359 Meter lang und über 20 Meter hoch. Dadurch sind sie kaum beheizbar und eine energetische Sanierung würde Unsummen verschlingen.»

Bis auf einige Gebäude von historischem Wert, die unter Bestandsschutz stehen, werden die meisten Gebäude rückgebaut, um Platz für Neues zu schaffen. Die schützenswerten Objekte bzw. die für eine Umnutzung prädestinierte Bausubstanz werden dabei in die Arealplanung miteinbezogen. Aktuell findet der Rückbau eines rund 20’000 Quadratmeter grossen Baufelds statt; nach einer gängigen Schadstoffsanierung konnte ab Frühjahr 2022 mit dem eigentlichen Rückbau begonnen werden. Doch in all der Zeit lag das Areal nicht brach, sondern wurde in verschiedenster Weise genutzt. Dies sicherzustellen, ist das Ergebnis unterschiedlichster Überlegungen, erläutert Markus Künzle: «Die involvierten Arealentwickler und Asset-Manager und ich als Standortleiter bilden ein Team, das alle Faktoren für ein möglichst gutes Funktionieren des Areals zusammenbringen muss. Der Betrieb muss aufrechterhalten werden, obwohl gleichzeitig an anderer Stelle rückgebaut wird.» Es ist ein gutes Zeichen, dass manche Mieter diesen Rückbau kaum bemerkt haben.
«Wir haben den Rückbau von hinten, also von den Innenseiten der Gebäude her in Angriff genommen. So wurde der Betrieb auf den Verkehrsflächen nicht behindert.»

Hohe Nutzung bereits während der Entwicklung
Das Papieri-Areal ist zwar mitten in der Entwicklung, wird aber in vielen Teilen bereits jetzt genutzt. So sind überdachte Flächen etwa als Lagerflächen für unterschiedliche Unternehmen, aber auch als Parkplätze für die während der Coronazeit boomenden Wohnmobile vermietet. Neben diesen Zwischennutzungen, die immer nur so lange währen, bis der entsprechende Teil des Areals weiterentwickelt wird, gibt es aber auch langfristige Mieter. Einer davon ist das Logistikunternehmen Sieber. Rund 100 Mitarbeitende beschäftigt das Unternehmen in Biberist. «Die Sieber Transport AG ist ein Ankermieter», sagt Markus Künzle. «HIAG hat 2016 für das Unternehmen das bestehende Hochregallager mit einer Lagerkapazität von über 20’000 Paletten und 7’500 Quadratmeter Logistikfläche umgebaut.» Das Gebäude verbleibt im Besitz von HIAG, die Sieber AG hat jedoch einen längerfristigen Mietvertrag. Für die weitere Nutzung des Areals muss auf eine gute Mischung an Branchen und Wirtschaftszwei- gen geachtet werden, sagt der Standortleiter. «Das Problem ist, dass viele Unternehmen hier Lagerfläche mieten wollen, aber wir wollen ja, dass hier etwas produziert wird und so ein attraktives, innovatives Arbeitsplatzgebiet entsteht.»

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Zukunftsfähige Technologien fördern …
Einen Schritt in die richtige Richtung markiert die Baustelle, die aktuell am Ufer der Emme zu sehen ist. Wo früher ein Klärwerk war, entsteht aktuell eine rund 3’000 Quadratmeter grosse Werkhalle. Ab 2024 wird hier die Librec AG Antriebsbatterien aus dem Personenverkehr, aber auch aus Lastwagen und Schiffen recyceln. Das junge Unternehmen hat eine Recyclingmethode entwickelt, mit der über 95 Prozent der in den Batterien verarbeiteten Rohstoffe wie Lithium, Kobalt und Nickel erhalten werden. Damit wird in der Batterieproduktion massiv CO2 eingespart, Sondermüll fällt keiner an. Eine zukunftsträchtige Technologie, denn bisher wurden Altbatterien eingeschmolzen oder verbrannt, mit einer sehr niedrigen Rückgewinnungsrate und unter hohem Energieaufwand. Das Unternehmen passt zum innovativen Charakter des Areals und auch zu HIAGs Bestrebungen im Bereich Nachhaltigkeit. Markus Künzle zum Baufortschritt: «Die Baubewilligung ist erteilt, letzte Rückbauten werden noch gemacht. Dann wird alles schnell gehen, die Halle sollte gegen Ende 2023 bereits bezugsbereit sein.»

… und bestehende erhalten
Markus Künzle ist auf dem Papieri-Areal zu Hause. Und es gibt einen Ort, an dem das so deutlich wird wie nirgendwo sonst. Auf dem Weg dorthin wird ein brummendes Dröhnen immer lauter. «Hören Sie mein Schätzchen?», sagt der Standortleiter mit einem breiten Grinsen. Wir befinden uns am Wasserkraftwerk, das zum Areal gehört. Der Maschinenbauingenieur Künzle ist in seinem Element. Auch hier kennt er jedes Detail. «1984 hatte man hier eine Escher-Wyss-Turbine eingebaut, die jedoch 2014 aufgrund eines Montagefehlers einen Zahnradbruch erlitt. Es gab dann eine grosse Revision und seither läuft sie störungsfrei.» Das ist wohl dem gewissenhaften Unterhalt, den Markus Künzle übernommen hat, zu verdanken. Doch die Anlage ist viel mehr als reine Liebhaberei. «Mit unserem Wasserkraftwerk erzeugen wir im Schnitt 60 Prozent des Stroms, der momentan auf dem Areal verbraucht wird.» Damit leistet die Turbine einen wertvollen Beitrag zu einer umweltfreundlichen Energieversorgung. Gute Aussichten also für das Papieri-Areal.

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3 Fragen an Michele Muccioli, Leiter Entwicklung und Realisation


Welche Faktoren waren bei der Entwick- lung einer neuen Perspektive für das Areal in Biberist ausschlaggebend?
Einerseits verfügt das Papieri-Areal mit rund 280’000 Quadratmeter eingezonter und baureifer Grundstücksfläche über eine unglaubliche Dimension. Andererseits ist das Areal mit einer hochleistungsfähigen Infrastruktur versehen, wie man sie kaum noch sonst in der Schweiz antreffen kann: Strom, Frischwasser aus eigenen Quellen, Dampf, Gas und Gleisanschluss. Last but not least bietet der zentrale Standort mitten in der Schweiz ausgezeichnete logistische Voraussetzungen für das Gewerbe und die Industrie.

Was beinhaltet die «Vision 2033» für das Papieri-Areal in Biberist?
Wir möchten in Biberist die Industrie- und Arbeitsplatzgeschichte fortführen. Ein Grossteil des Areals soll als Arbeitsplatzgebiet für produzierendes und innovatives Gewerbe beibehalten werden. An spezifischen Orten, und sehr gezielt, sollen aber auch Nutzungen für Verkauf, Gastro, Freizeit und Wohnen entstehen. Das Areal soll schliesslich rund um die Uhr leben und zugänglich sein.

Für das Batterierecyclingunternehmen Librec wird auf dem Areal bis Ende 2023 eine neue Halle erstellt. Wie wichtig ist HIAG die Förderung solcher Unternehmen?
Innovative und zukunftsträchtige Unternehmen rennen bei HIAG offene Türen ein! Wir glauben an den Werkplatz Schweiz. Das heisst, dass wir bei der Ansiedlung nicht nur etablierte Unternehmen in Betracht ziehen, sondern auch kreativen Start-ups wie Librec eine Chance geben. Entscheidend ist dabei die Solidität und Resilienz der Geschäftsidee. Darüber hinaus bringen solche Unternehmen vielleicht nicht sofort, aber in naher Zukunft neuen Glanz mit und bereichern den Standort mit Erfindungskraft und Unternehmergeist.